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Degas – ein Genremaler?

Wenige unter den modernen Klassikern sind so gängig wie er. Seine Bilder hängen millionenfach reproduziert in Stuben, deren Bewohner es nicht mit der Kunst haben. Degas hat eben gemalt, was der Verschönerung dient und übers Sofa passt. – Das ist selbstverständlich ein Vorurteil; allerdings ein bestens funktionierendes.

 

Die gegenwärtige grosse Schau der Fondation Beyeler mit Spätwerken Degas‘ will diese Etikettierung des Künstlers selbstverständlich nicht bedienen. Zu deutlich zeigt sie seine künstlerischen Qualitäten. Trotzdem konnte ich beim Gang durch die Säle den Gedanken nicht verscheuchen, Degas sei vielleicht doch eine Art Genremaler. Der Verdacht wird genährt durch die Beobachtung, dass er im wesentlichen mit drei Themenkreisen auskommt, die er handwerklich perfektioniert und als Markenzeichen seiner reichen Produktion ausgestaltet: Balletttänzerinnen, die Frau im Bad, Pferde auf der Rennbahn. Zusammen mit dem Hang zum Gefälligen und Dekorativen ist diese Konzentration auf leicht als „Kunst“ identifizierbare Bildthemen gewiss ein Indiz für Genremalerei. Ein Grossteil von Degas‘ Produktion widerspiegelt die Attitüde des Routinierten und auf Effekt Kalkulierten.

 

Mein Eindruck bleibt zwiespältig. Degas als Genremaler? Dann müsste man ihm aber immerhin zubilligen, ein genuines, von ihm selbst entwickeltes Genre zu pflegen. Mehr noch: Degas hat sich intensiv mit seinen Sujets und ihren formalen Möglichkeiten auseinandergesetzt. Dabei sind einzelne Bilder entstanden, die den Genrecharakter zwar beibehalten, aber doch auch transzendieren.

 

Solche Überschreitungen sind daran zu erkennen, dass die gewohnten Bildinventare zu formalen Inventionen umgestaltet sind. Die Kompositionen nähern sich der Abstraktion, die Farbpaletten komprimieren sich bis zur Monochromie. Ein energischer Formwille setzt sich gegen das beliebig Hübsche und Nette durch. In diesen Werken verzichtet Degas auf die sonst allzu verschwenderischen Effekte, die Farbenfeuerwerke sind gebändigt, das verräterische Kalkül mit dem Massengeschmack unterbleibt.

 

Da und dort bricht Degas zu jener Radikalität durch, die in jeder wahren Kunst steckt. Doch zu oft geht er nicht an jene Grenzen. Deshalb ist er wohl schon ein Genremaler. Der grosse Künstler, der in ihm steckt, hat sich in relativ wenigen Bildern durchgesetzt. Aber es gibt diese Werke, und sie sind Grund genug, Degas als Maler hoch zu schätzen.

 

Eine ausführlichere Besprechung der Ausstellung habe ich am 10. Januar 2013 publiziert im Journal 21

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