Stöbern, das lehrt mich ein Blick in Grimms Deutsches Wörterbuch, ist ursprünglich ein Wort aus der Jägersprache. Wenn Hunde das Wild stöbern, scheuchen sie es auf. Davon übertragen, kann Wind Flocken aufscheuchen und ein Schneegestöber machen. Später erst wandert das Wort zu jener etwas unentschiedenen Haltung von Menschen, die, wenn sie stöbern, in alten Sachen herumwühlen, durch Bibliotheken streunen und in Büchern blättern. So, nämlich seiner jägerischen, stürmischen Energie ledig, kennen wir das Wort heute.
Das Unentschiedene am Stöbern besteht in seiner halb aktiven, halb passiven Attitüde. Ein Stöbern ist noch nicht ein Suchen, aber auch nicht mehr ein blosses Tändeln. Die Aufmerksamkeit ist nicht gebündelt; sie schwebt, gleitet, ist stets bereit, sich ablenken und verführen zu lassen. Dabei ist sie jedoch wach und hat alle Antennen ausgefahren. Immer bereit, ihr Interesse anspringen zu lassen, kreist die Wahrnehmung wie der Scheinwerfer eines Leuchtturms. Scheint in seinem Lichtstrahl das erwartete Unerwartete auf, so wechselt der Modus des Stöberns augenblicklich in denjenigen der Neugier. Die Aufmerksamkeit kann so flüchtig bleiben wie das Aufblitzen im Lichtkegel. Doch in seltenen Fällen bleibt sie bei einer Entdeckung stehen, um sie kennenzulernen, vielleicht gar zu erforschen und zu ergründen.
Das Stöbern ist ein Königsweg, der zu Neuem führt. Dank ihrem schwebenden Zustand überwindet die Aufmerksamkeit die Zäune und Mauern des Immer-Schon, gewinnt sie die Flughöhe für eine Übersicht und den Leicht-Sinn, sich mit Unbekanntem einzulassen. Stöbern will gelernt sein und braucht Übung. Man muss lernen und üben, das Gefühl der Leere auszuhalten, wenn nichts von Interesse zu finden ist. Und man muss ein inneres Gleichgewicht finden zwischen dem sprungbereiten Zutrauen in die Ergiebigkeit des Stöberns und der Gelassenheit, die auf Funde warten kann.
Stöbern heisst auf Englisch to browse und hat als Terminus technicus der Internetbenützung Karriere gemacht. Je mehr aber die technische Informationsbearbeitung in Routinen abläuft, desto weiter entfernt sie sich vom Stöbern. Das ist einerseits erwünscht und sehr praktisch. Wer weiss, was er sucht, will es schnell finden, gerne – wie bei Google – in Millisekunden. Grossartig, dass es funktioniert!
Im Unterschied dazu wird das Stöbern immer recht viel Zeit brauchen, sei es in (nicht-virtuellen) Buchhandlungen, Bibliotheken oder in der Twitter-Timeline. Offenes, ins Unbekannte ausgreifendes Denken – was etwas ganz anderes ist als die technokratisch herbei organisierten „Innovationen“ – braucht Stöber-Zeit und eine persönlich gepflegte Stöber-Kultur. Let’s browse!
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