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Auf den zweiten Blick

Am 7. Januar 2014 erschien auf der Medienseite der NZZ das grosse Interview mit der demnächst abtretenden Direktorin der Journalistenschule MAZ. Der Befrager: Rainer Stadler, vermutlich dienstältester Medienjournalist und profunder Kenner der Szene. Die Befragte: Slivia Egli von Matt, Grande Dame der Journalistenausbildung in der Schweiz mit weitem internationalem Horizont.

 

Eine Passage aus diesem instruktiven Gespräch hat mich alarmiert:

 

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Angehende Journalistinnen und Journalisten, die sich mit «20 Minuten» begnügen und keine Tageszeitung abonnieren! Man kann die Konsternation des Interviewers und Ernüchterung der abtretenden MAZ-Direktorin zwischen den Zeilen lesen.

 

Drei Tage später bin ich meiner eigenen Empörung überdrüssig. Ich komme mir vor wie der typische pensionierte Studienrat, der überall Niedergang und Verfall konstatiert und zu allem seinen besserwisserischen Senf gibt. Man könnte die Sache ja wenigstens versuchsweise mal anders anschauen, sage ich mir.

 

Zuerst eine Rückfrage. Was hat mein Milieu der Gebildeten, Interessierten und Politisierten des Alters fünfzig plus, das sich für kritisch und gut informiert hält, an Besonderem erreicht und bewegt? Es gab vielleicht ein paar gesellschaftliche Öffnungen – aber immer begleitet von Gegenbewegungen. Möglicherweise resultierte eine höhere Bereitschaft zur Partizipation – aber das haben die rückwärtsgewandten Kräfte längst mindestens ebenso gut drauf.

 

Die Selbstbefragung brachte das Urteil über den journalistischen Nachwuchs ins Wanken. Beim Wiederlesen des ganzen Interviews fällt es vollends in sich zusammen. Silvia Egli von Matt zeichnet ein differenziertes Bild. Sie beschreibt die Studierenden, die am Anfang ihrer journalistischen Laufbahn stehen, als im allgemeinen gut vorgebildet, kritisch und zielstrebig. Was sie über die eigene Mediennutzung sagen, spiegelt die heutige Realität. Warum sollten diese jungen Leute, bloss weil sie einen Medienberuf ergreifen, völlig anders ticken als ihre Altersgenossen?

 

Es könnte sogar sein, dass der journalistische Nachwuchs mit seiner ziemlich durchschnittlichen Mediensozialisierung wichtige Erfahrungen mitbringt, um als Berufsleute mit der sich rasch ändernden Medienwelt klarzukommen. Man wird kaum behaupten können, dass die in den Medien noch tonangebende Generation diese Herausforderung durchwegs mit Erfolg gemeistert hätte.

 

Ob das mit der neuen Generation anders wird, weiss ich natürlich nicht. War ja nur ein Versuch, die spontane Empörung zu hinterfragen und einen zweiten Blick auf die Situation zu werfen.

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