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Goethes Papagei

Johann Peter Eckermann (1792-1854) ist mit seinem Werk „Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens“ zum Phantom der Literaturgeschichte geworden: zwar unbestreitbar eine unersetzliche Quelle des Wissens über Goethes späte Jahre, aber schon zu Lebzeiten abqualifiziert als „keineswegs ein irgend bedeutender Mensch“ (Friedrich Hebbel) und verspottet als „Goethes Papagei“ (Heinrich Heine). 

 

Der beflissene Adlat des greisen Dichterfürsten könnte demnach in die Anmerkungsapparate germanistischer Seminararbeiten entsorgt werden. Dies um so leichter, als er neben den „Gesprächen mit Goethe“ nichts von Belang hinterlassen hat. Doch ausgerechnet der sonst so erbarmungslos kritische Friedrich Nietzsche war es, der Eckermanns „Gespräche“ als „das beste deutsche Buch“ pries. – Für mich ein Grund, das 700-Seiten-Opus zu lesen. Und ich kann nur empfehlen, das zu tun.

 

Zwar haben Hebbel, Heine und all die anderen recht, die Eckermann als kleines Licht einstufen. Seine blinde Verehrung für den Geistesheroen spricht nicht für ihn, die unterwürfige Dienstfertigkeit grenzt ans Groteske. Eckermann folgt jedem Wink des Meisters. Goethes Stirnrunzeln genügt, und schon verzichtet er auf die Heirat mit der jahrelang Verlobten. Wegen eines möglicherweise sich einstellenden Bedürfnisses des Gebieters nach seiner Präsenz lässt er einen lang gehegten Reiseplan fallen. Eckermann steht, obschon nicht für seine Dienste angestellt, generell zur Verfügung, und Goethe weiss das zu nutzen.

 

So treuherzig und schönfärberisch Eckermann sein Verhältnis zu Goethe auch darstellt, es dringt doch überdeutlich zwischen den Zeilen hervor, wie es damit wirklich bestellt ist. Es geht dem Verfasser wie allen Chronisten, die neben dem Festhalten der Tatsachen zusätzliche – vielleicht auch gar nicht vollends bewusste – Absichten verfolgen: Sie geben mehr preis als sie wollen. Was sie sich nicht klar machen oder was sie mit Absicht verbergen, liegt am Ende offen zutage.

 

Mag Eckermann, gemessen am Masstab der Geistesgeschichte, auch nicht „bedeutend“ sein, so ist er doch keinesfalls uninteressant. In der Einleitung zum ersten Teil der „Gespräche“ schildert der Verfasser seine Herkunft aus ärmsten Verhältnissen und seinen Werdegang bis zur Begegnung mit Goethe. Diese ersten zwanzig Seiten sind ein ungeheuer berührendes autobiographisches Dokument. Eckermann setzt es an den Beginn, um sich als Übermittler der Goethe-Gespräche zu legitimieren. Obschon von geringer Herkunft, habe er sich – so die unausgesprochene Affiche – bildungsmässig bis dahin empor gearbeitet, dass er Goethe als eine Art Privatsekretär und Stichwortgeber bewahrenswerter Äusserungen habe dienen können.

 

Ohne Eckermanns Absicht ist die Einleitung darüber hinaus auch zu einem Schlüssel für das Verständnis der „Gespräche mit Goethe“ geworden. Sie macht das Verehrungsverhältnis begreiflich und erlaubt es, sich in dieses bis zur Schmerzgrenze beflissene und peinlich kritiklose Faktotum wenigstens ansatzweise einzufühlen. Eckermann hat buchstäblich nichts ausser seiner Beziehung zu Goethe, ja, er wäre ein Nichts ohne sie.

 

Diese abhängige Existenz macht es schwierig, ihn gerecht einzuschätzen. Immerhin gäbe es nach Goethes Aussage ohne Eckermann keinen „Faust II“ (dessen mühsame Entstehung lässt sich in den „Gesprächen“ gut verfolgen), und auch bei der Herausgabe von Goethes Werken hat der Adlat eine wichtige Aufgabe übernommen. 

 

So ganz unbedeutend kann er also nicht gewesen sein. Von Zeitgenossen zumeist schnöde behandelt, wurde Eckermann nach  seinem Tod in den Olymp des Bildungsbürgertums gehoben – und im 20. Jahrhundert zum Teil wieder der Lächerlichkeit preisgegeben (so in Martin Walsers Stück „In Goethes Hand“ 1982). Die wechselvolle Beurteilung und Wirkung der „Gespräche mit Goethe“ sind aussagekräftige Facetten der Literatur- und Kulturgeschichte der Nach-Goethe-Zeit (Heinz Schlaffers Einführung in der Münchner Ausgabe gibt dazu eine instruktive Übersicht).

 

Verlässliche Dokumente im heutigen Sinn sind die „Gespräche mit Goethe“ nicht. Sie wurden teils auf der Basis rudimentärer Aufzeichnungen, teils frei aus dem Gedächtnis geschrieben – und das erst noch teilweise aus dem Abstand vieler Jahre. Schlaffer nennt Eckermanns Verfahren eine „authentische Stilisierung“. Das dürfte den Charakter dieser „Gespräche“ recht genau treffen: Sie sind absichtsvoll stilisiert, um den Ruhm des Dichters zu mehren und sein Gedenken zu formen. Und sie sind authentisch in dem Sinn, dass die Personen in ihrem Alltag und im gegenseitigen Umgang lebendig werden. Oft ist es das Beiläufige, das den Reiz dieser Texte ausmacht. Man sieht Goethe in seinem Haus, im Garten, bei Spazierfahrten, mit der Familie, mit Besuchern, in Gesellschaften. Wo Eckermann nicht sein Programm abspult und „Bedeutendes“ rapportiert, da gibt es Einblicke, die so frisch sind, als wäre man dabei.

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