Der Däne Vilhelm Hammershøi (1864-1916) ist vor allem bekannt als Maler poetischer Interieurs – oder mehr noch: der tiefen Stille. Seine Sujets stammen meist aus dem engeren Lebenskreis: die oft leer anmutenden Räume seiner gutbürgerlichen Wohnung in Kopenhagen, seine Frau, seine Freunde. Meistens herrscht gedämpftes, dämmriges Licht. Auf der Farbenpalette dominieren pudrige Schattierungen von Grau, Rotbraun und Weiss. Durch die Fenster fällt Licht, aber sie gewähren keinen Blick nach draussen.
Der Italiener Giorgio Morandi (1890-1964), eine Generation jünger als Hammershøi, scheint diesen nicht gekannt zu haben, obschon es im Leben des Dänen Berührungspunkte mit Italien gab. Wenn es also stimmen sollte, dass Hammershøis Kunst auf Morandi keinen Einfluss hatte, so besteht dennoch eine überraschende Verwandtschaft. Sie lässt sich beschreiben als eine künstlerische Haltung der Kontemplation, eine besondere Intensität in der Zuwendung zu den Bildgegenständen und daraus resultierend eine frappierende Atmosphäre der Stille in den Bildern.
Beide Maler haben wohl die klassische Moderne mitverfolgt (Morandi entsprechend seinen Lebensdaten auch spätere Entwicklungen der Kunst), dabei aber an einem altmeisterlich-vormodernen Bildverständnis festgehalten. Ihre Werke sind Schöpfungen im Sinn der künstlerischen Wiedergabe oder Re-Präsentation des Vorfindlichen. Obschon beide den klassisch-ästhetischen Grundsatz der Natur-Imitation auf eine freie, jeweils zeitgenössische Art interpretieren, behalten sie die Bindung an diese Form der Gegenständlichkeit bei. Für Hammershøi und mehr noch für Morandi war es eine bewusste künstlerische Entscheidung gegen herrschende Zeitströmungen, den Schritt zur vollen Autonomie des Bildes zu vermeiden, das ja nach moderner Auffassung seine ästhetischen Gesetzmässigkeiten rein in sich selbst hat.
Auch in der malerischen Handschrift sind die beiden sich ähnlich, 0bschon die kunstgeschichtliche Distanz von ein paar Jahrzehnten zwischen dem Dänen und dem Italiener natürlich ins Auge fällt. Die Verwandtschaft steckt im Vorrang des Lichteffekts vor der detaillierten Abbildung. Bei Hammershøi wie bei Morandi können Schatten oder Glanzlichter die Konturen der Objekte verschwinden lassen. Das Diffuse, die Atmosphäre liegt oft wie ein Schleier über den Bildern.
Parallelen dieser Art wären allerdings zwischen den Œuvres mancher Künstler zu finden; sie erklären die schlagende Ähnlichkeit zwischen Hammershøi und Morandi noch nicht. Diese liegt mehr an der ähnlichen künstlerischen Haltung der beiden nicht zeitgleich wirkenden Maler und an den Aussagen ihrer Bilder.
Ihre Haltung ist begründet in der Liebe zum Unscheinbaren, in der Sorgfalt für das alltäglich Vorfindliche. Letztlich rührt sie her von einer andächtigen Betrachtung der Welt im Kleinen, die eben auch hier die grosse unfassbare Welt ist, das rätselhafte Sein. Aus dieser Haltung haben Hammershøi und Morandi, im Generationsabstand und ohne biografische Berührung im Norden und im Süden Europas wirkend, Bilder geschaffen, in denen Erfahrungen der Stille und der langsamen Zeit verdichtet sind.
P.S.: Giorgio Morandis Todestag jährt sich heute zum fünfzigsten Mal. Siehe dazu den Beitrag im Journal 21.
Bildnachweise:
- Vilhelm Hammershoi: Die Staffelei des Künstlers, 1910 (Foto: Google Art Project)
- Giorgio Morandi, Natura morta, 1948 (Foto: Google Art Project)
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