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Bachmann-Preis goes Camp

Der Cartoonist, Musiker und Journalist Tex Rubinowitz hat mit der schrägen Liebesgeschichte «Wir waren niemals hier» beim Wettlesen in Klagenfurt den Bachmann-Preis 2014 gewonnen. Der Ich-Erzähler hält, als er eine Facebook-Freundschaftsanfrage seiner längst Verflossenen bekommt, Rückblick auf seine Jugend. «Ich studierte zu der Zeit Kunst, aber auch nur eine Woche, ich war zwar inskribiert, aber es war ja niemand da, der etwas hätte unterrichten können, mein Professor fand es wohl gut, uns „machen“ zu lassen.»

 

Das war also in den achtziger Jahren in Wien. Irgendwie bleibt Irma («sie kam aus Litauen, finsterste Sowjetunion») bei ihm hängen, zieht irgendwie bei ihm ein – und ist irgendwie doch nie da. Die Erinnerung beginnt mit ihrem Zettel auf dem Küchentisch: «Ich bin weggegangen. Wenn ich in 50 Minuten nicht zurück bin, komme ich gar nicht mehr. Brauchst nicht zu warten.»

 

Irma raucht, isst nicht und lutscht dafür an Batterien. Der Erzähler erfährt von ihr nichts als Gleichgültigkeit, Zurückweisung und kryptische Sarkasmen. Auch er stösst sie von sich, schlägt sie sogar einmal (zu ihrem und seinem Entsetzen). Sex gibt es nicht, Gespräche ebenso wenig. Es fallen Sätze, die wie Requisiten eines absurden Theaters im Raum stehen. Nur im Schlaf sind sie zusammen «als wären wir eine Person, angeschlossen an dieselbe Herz-Lungen-Maschine».

 

Die Jury in Klagenfurt benötigte drei Durchgänge in der Stichwahl, um sich auf Tex Rubinowitz als Preisträger 2014 zu einigen. Auf der Website des Bachmann-Preises wird der Entscheid damit begründet, es handle sich um «eine wilde, schöne und sehr seltene Liebesgeschichte». Es gehe darin um einen lakonischen Helden, der «eine Schneekönigin im tristen Wien der achtziger Jahre umkreist» – und das «eher komisch als tragisch». Die Erzählung sei eine Studie über die «Mühen der Verständigung zwischen Mann und Frau», in der sich die «zeitgenössische Liebe» äussere. – Naja, soweit der Pressetext aus Klagenfurt.

 

Die Jury hatte anscheinend nicht den Mut, Rubinowitz’ Erzählung als das zu präsentieren, was sie ist und zweifellos sein will: Trash-Literatur. Als solche hat sie durchaus preiswürdige Qualitäten. Der Text ist bei aller gewollten Schnoddrigkeit raffiniert gebaut und gekonnt durchgeformt (nur an wenigen Stellen fällt er kurz aus dem eigenen Duktus). – Also: Keine Kritik am Entscheid, um so mehr aber an dessen Begründung (jedenfalls soweit sie auf der offiziellen Website des Bachmann-Preises einsehbar ist).

 

Zur Stützung der offenbar recht strittigen Kür hätten die Preisrichter auf einen berühmten Essay zurückgreifen können, der vor genau fünfzig Jahren erschienen ist: Susan Sontags «Notes on „Camp“» (1964 erschienen in Partisan Review, deutsch in: Kunst und Antikunst. 24 literarische Analysen, Frankfurt 1982). Die Literatur- und Kunstkritikerin Sontag (1933-2004) umreisst in ihrem Aufsatz das damals neue Stilphänomen Camp, das sie eine Ästhetik des guten schlechten Geschmacks nennt. Die Bezeichnung Camp hat sich dann nicht dauerhaft durchgesetzt.

 

Was Susan Sontag anhand von 58 Merkmalen als Camp identifiziert, stimmt ziemlich überein mit dem, was heute Postmoderne heisst. Allerdings meint sie mit Camp eher eine Haltung der Rezeption als einen geistigen Rahmen der kulturellen Produktion. Postmoderne ist radikalisierte, da von ihren eigenen Leitideen emanzipierte Moderne. Camp hingegen ist der konsequent ästhetische Zugriff auf die Wirklichkeit: Stil schlägt Inhalt, Ästhetik verdrängt Moral, Ironie ersetzt Tragik.

 

Dass Camp die Ironie hinter sich lasse, wie Mads Pankow in «Die Epilog» (tatsächlich: die) behauptet, stimmt gerade nicht. Ein moralisch unterlegter Sarkasmus, ja, der ist in Camp erledigt, aber nicht die spielerisch-maliziöse Unterhöhlung von allem, was Bedeutung hat. Ironie, das Signum der Postmoderne, ist nicht überholt oder überwunden, auch wenn sich in manchen künstlerischen und unterhaltungsindustriellen Artefakten längst eine Ironiemüdigkeit Ausdruck verschafft. Die ironische Grundierung ist noch immer da. Sie hat die Pathosformeln der Moderne dauerhaft ins Geschichtliche verwiesen, und eine Post-Postmoderne (die erst noch einen anerkannten Namen bekommen müsste) ist bisher lediglich ein Postulat, dessen Realisierung noch kaum über das Stadium akademischer Versuchsballons hinaus gediehen ist.

 

Das Camp-Paradigma hat sich als intellektuelle Mode zwar nicht durchsetzen können, doch überholt ist es nicht. Indem es alles gewissermassen in Anführungszeichen setzt, verfügt es über eine Schreibweise, die auch nach fünfzig Jahren dem Zeitgeist noch immer dicht auf den Fersen ist. Susan Sontag verweist auf Oscar Wilde als den Ahnherrn der Ironisierung. Er hat das Dandytum als nicht nur ästhetische, sondern zugleich subversive Haltung kultiviert. Doch er stand, das Ende der Aristokratie registrierend, schon an einer Epochenschwelle. Sontag hierzu (Punkt 45 der Notes): «Detachment is the prerogative of an elite; and as the dandy is the 19th century’s surrogate for the aristocrat in matters of culture, so Camp is the modern dandyism. Camp is the answer to the problem: how to be a dandy in the age of mass culture.»

 

Die preisgekrönte Erzählung von Tex Rubinowitz könnte man, wäre der Begriff heute noch genügend geläufig, mit gutem Grund als ein Stück Camp-Literatur bezeichnen. Sie ist ein Dokument des Dandytums im Zeitalter von Massenkultur und Sozialen Medien: Stil schlägt Inhalt, Ästhetik verdrängt Moral, Ironie ersetzt Tragik. «Wir waren niemals hier» ist ein ironisches Erzählstück, in dem Liebe und Trennung – die Pathosinhalte schlechthin – in lauter Belanglosigkeiten aufgelöst werden, die allein durch die Art des Erzählens, also durch das ästhetische Verfahren, Aufmerksamkeit bekommen und auch verdienen. Camp eben.

 

Quellen:

Tex Rubinowitz: Wir waren niemals hier

Susan Sontag: Notes on „Camp“ (1964)

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