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Alles, und zwar subito!

Nach dem Amok-Verbrechen im Zug bei Salez am vergangenen Samstag standen Polizei und Medien sogleich unter dem Druck der im Netz heisslaufenden Fragen und Gerüchte. Ein amerikanisches Blog vermeldete die angeblich bestätigte Information, der Täter sei ein Muslim. Zudem kursierte in den Sozialen Medien das Foto eines dunkelhäutigen Mannes, das als Porträt des Täters ausgegeben wurde.

 

Wegen der Ähnlichkeit der Tat mit der Terrorattacke von Würzburg löste das Ereignis ein riesiges Medienecho aus. Anfragen aus aller Welt stürmten auf den Pressesprecher der St. Galler Kantonspolizei ein. Anders als nach der Amoktat im Supermarkt in München, wo bei der Polizei ein gut aufgestelltes Kommunikationsteam bereitstand, musste in St. Gallen eine einzige Person mit den extremen Anforderungen fertig werden. Nach heutigem Kenntnisstand hat Hanspeter Krüsi, Mediensprecher der St. Galler Kapo, die Feuerprobe gut bewältigt.

 

Trotzdem ist in der Presse Kritik laut geworden. Selbstverständlich wurde das Informationsverhalten der St. Galler sogleich mit jenem der Münchener verglichen. „Le Temps“ konstatierte ein Dilemma der Behörden: Zwischen zu viel Information und zu wenig das richtige Mass zu finden, sei im Stress des Ernstfalls äusserst schwierig. So sei  die hochprofessionelle Kommunikation der Münchener zwar weit herum gelobt worden, doch ihre offensive Informationspraxis, die zahlreiche unsichere und im Nachhinein als falsch erwiesene Meldungen verbreitete, sei wegen ihren irritierenden Wirkungen auch in Frage zu stellen. „Le Temps“ liess trotzdem die Meinung durchblicken, in St. Gallen habe man nach der anderen Seite hin übertrieben.

 

Tatsächlich  ging die St. Galler Polizei im Vergleich dazu äusserst zurückhaltend vor. Sie folgte eisern ihren Regeln, wonach unbestätigte Informationen weder aktiv kommuniziert noch kommentiert werden. Das erschien manchen Medienleuten offensichtlich als „Heimlichtuerei“.

 

Das Rauschen der Social Media produziert nicht nur Fehlmeldungen und Gerüchte zuhauf, sondern schürt auch die Erwartung, es müsse sofort über alles informiert werden. Das Fehlen von Informationen gilt generell als ein Versagen, für das irgend jemand zur Rechenschaft gezogen werden muss. Nichtwissen ist eine Zumutung, die das Publikum nicht mehr akzeptieren will. Das Warten auf Klärungen ist schlimmer als das Entsetzen angesichts der Untat.

 

Der Druck auf Behörden, einen offensiven Informationskurs zu fahren, wird zunehmen. Nachdem Marcus da Gloria Martins, der Mediensprecher der Münchener Polizei, für seine souveränen Auftritte zur Recht gelobt wurde und gar zum Talkshow-Star avancierte, wird wohl die Policy seiner Kommunikationsabteilung zum faktischen State of the Art. Da wird es schwierig, Zurückhaltung zu pflegen.

 

Ich meine aber, Hanspeter Krüsi habe einen genauso guten Job gemacht wie sein berühmt gewordener Münchener Kollege. Krüsi hat ein paar Tugenden durchgehalten, denen die Kommunikationsverantwortlichen gerade unter dem Diktat des „Alles, und zwar sofort!“ Sorge tragen müssen: Verlässlichkeit vor Schnelligkeit, Verantwortung vor Gefälligkeit, Klarheit vor Sensation.

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