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Die Welt als Game

Elon Musk ist der Meinung, die Welt, in der wir leben, sei – mit einer Wahrscheinlichkeit von einer Milliarde zu Eins – eine Simulation, wie sie im Film «The Matrix» (1999) entworfen wurde Er ist damit nicht allein. Unter der ambitiösen Bezeichnung «Simulationstheorie» macht dieses Gedankenspiel seit einiger Zeit die Runde.

 

Eigentlich hat schon René Descartes im 17. Jahrhundert ähnliche Überlegungen angestellt. Er stand nämlich vor dem Problem, eine Verbindung zwischen der res extensa (der Materie) und der res cogitans (dem Geist) in sein philosophisches System herein zu bekommen. Ohne Bindeglied zwischen den beiden Welten hätte er die Möglichkeit einer Erkenntnistheorie glatt vergessen können.

 

Descartes’ Lösung: Er benützte die Idee des gütigen Gottes als Garantin für die Verlässlichkeit der empirisch nicht nachweisbaren und logisch nicht ableitbaren Übereinstimmung zwischen dem, was der menschliche Geist erkennt, und der objektiven Realität. Nur ein böser Dämon, so Descartes’ Überzeugung, könnte die Menschen derart täuschen wollen, dass ihr Erkennen an der res extensa vorbei ginge. Zur Idee Gottes gehörte das Attribut der Vollkommenheit; ein böser Gott wäre nicht vollkommen und daher kein Gott gewesen. Also war – im Denkhorizont des 17. Jahrhunderts – Descartes’ philosophisches System im Trockenen.

 

Die Simulationstheoretiker des 21. Jahrhunderts haben, wie alle modern Denkenden, die Selbstverständlichkeit eines guten Gottes, der sich um das Funktionieren der rationalistischen Philosophie kümmert, zu den geistesgeschichtlichen Akten gelegt. Descartes’ Bindeglied zur Stabilisierung der menschlichen Erkenntnis ist aus moderner Sicht weggebrochen. Man kann also heute eine Welt denken, in der menschliche Erfahrung und Erkenntnis nichts mit der Wirklichkeit zu schaffen haben. «The Matrix» hat dieses Gedankenspiel eindrucksvoll vorgeführt.

 

Musk und ein paar weitere Herolde der angeblich kommenden maschinellen Superintelligenz und baldigen Singularität (gemeint ist der Moment der Technikentwicklung, bei dem das Verhältnis zwischen Menschen und Maschinen umschlägt, also die Computer das Kommando übernehmen) gehen nun aber weiter als das Science-Fiction-Epos. Sie meinen Anzeichen zu erkennen, dass wir uns tatsächlich täuschen: Wir sind nicht, was wir zu sein glauben, und die Welt ist nicht, was wir zu wissen meinen. Vielmehr sind wir Figuren eines Games, das unsere technisch fortgeschritteneren Nachfahren – humane oder transhumane – programmiert haben.

 

Eines dieser Anzeichen soll sein, dass Physik – und damit die Welt – auf Mathematik basiert. Das Universum, wie wir es vorfinden, könnte also in einem das Weltganze überhaupt erst hervorbringenden Setting «programmiert» sein. Ein weiteres Indiz sehen die Simulationstheoretiker in den Trends der Informatik, die auf die Entwicklung künstlicher Intelligenz, auf maschinelle Nachbildung des menschlichen Gehirns und Erzeugung künstlichen Bewusstseins hin liefen. Die Annahme, eine Welt-Simulation könne dereinst möglich sein, liege deswegen nahe.

 

Musk ist ein genialer Mensch mit tollen Ideen für elektronisches Bezahlen (PayPal), elektrisches Fahren (Tesla) und kommerzielle Raumfahrt (Space X). Was ihm weniger liegt, ist philosophisches Denken. Er und seine Simulationstheoretiker-Kollegen würden sich sonst fragen, ob es eine solide, operationalisierbare Beschreibung menschlichen Bewusstseins überhaupt gibt. Leider fehlt sie nämlich, und so kann man Bewusstsein denn auch nicht technisch substituieren.

 

Das Problem ist philosophisch vertrackt: Dem Bewusstsein fehlt eine Instanz, die es mit beobachtender Distanz untersuchen könnte. Das beurteilende Subjekt kann nicht mit dem zu beurteilenden Objekt identisch sein. Passiert eine solche Gleichsetzung, so unterläuft dem Denkenden ein Kategorienfehler, und es kommen sinnlose Ergebnisse heraus, etwa wie wenn man in einer Gleichung versehentlich einen Wert durch Null dividiert.

 

Auch die Annahme, die Welt sei mathematisch strukturiert, ist ein klassischer Fehlschluss. Die Physik als mathematisch funktionierende Wissenschaft führt selbstverständlich zu mathematisch basierten Weltmodellen. Dies nicht, weil die Welt aus Mathematik besteht, sondern weil die Physik ausschliesslich mathematische Fragen an sie stellt.

 

Simulationstheoretiker meinen aus der Tatsache, dass Computergames in vierzig Jahren sich von primitiver Pixelgrafik zu realistischen 4D-Umgebungen gemausert haben, eine Zukunft extrapolieren zu können, in der die unendliche Komplexität der Welt, die unergründliche Vielschichtigkeit menschlicher Personen und die Unabsehbarkeit von Handlungsoptionen programmierbar sein würden. Es ist einfach nur grotesk! Sollen sie doch damit anfangen, einen einzelnen Grashalm vollständig zu programmieren!

 

Hundert Jahre nach Descartes schrieb der materialistische Philosoph Julien Offray de La Mettrie das Buch «L’homme machine». Von Mechanik und früher Industrie ebenso hingerissen, wie es heute die Propheten der Singularität von der Informatik sind, beschrieb und erklärte er den Menschen als selbsttätiges mechanisches System, das sich bewegt, ernährt, fortpflanzt, das seine Umwelt mit Sinnesorganen erkennt, das denkt, spricht, sich sozialisiert. Schon die Zeitgenossen belächelten ihn. Heute ist er eine instruktive Skurrilität der Philosophiegeschichte.

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