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Die Dummheitsbetroffenen

Unter den vielen Formen von Dummheit ist eine besonders beliebte der Gebrauch aufgeblähter Floskeln, mit denen irgendwelche problemträchtige menschliche Eigenschaften verschleiert werden sollen. Aus dieser Marotte entwickelte sich der bekannte PC-Speech, der mit stets neuen Sprachkreationen zuverlässig Glossenschreiber und Kabarettisten versorgt.

 

Wie mir scheint, macht seit einiger Zeit eine spezielle Spielart des politisch korrekten Redens und Schreibens Karriere. Sie bezeichnet unzureichend begüterte Menschen nicht mehr als arm, sonder als Armutsbetroffene. Alte Menschen mit krankhaft verminderten geistigen Fähigkeiten sind nicht dement, sondern von Demenz betroffen. Undsoweiter.

 

Was soll damit ausgedrückt werden? Im Fall der Armut geht es wohl darum, jeden Eindruck von Schuldzuweisung oder sozialer Stigmatisierung zu vermeiden. Was aber ist das Ergebnis solcher sprachlicher Umgehungstaktiken? Armut bekommt in der schonungsvollen Diktion des Sozialjargons ungewollt die Schicksalhaftigkeit einer Epidemie oder Naturkatastrophe, von der Menschen „betroffen“ sind. Eigentlich passt das weder zum Erkenntnisinteresse der Sozialwissenschaften noch zu den Konzepten sozialpolitischen Wirkens. Diese Wissenschaften und ihre praktischen Anwendungen wollen doch vielmehr zeigen, dass gesellschaftliche Verhältnisse eben nicht naturgegeben, sondern von Menschen gemacht oder zumindest stark beeinflusst sind.

 

Und ganz nebenbei: Von Armut „betroffen“ sind alle, denen Armut nicht gleichgültig ist. Die Floskel ist also nicht nur aufgebläht, sondern auch semantisch falsch.

 

Der Verdacht, die Wörter arm und Armut würden per se eine vereinfachend-konservative Ideologie transportieren, ist unbegründet. Es sind klar verständliche Vokabeln, seit alters verankert im allgemeinen Sprachgebrauch. Sie haben keinen Beigeschmack. Wie alle Wörter können sie je nach Kontext verschiedene Färbungen haben. – Wo ist das Problem?

Es gibt nun mal je eine grosse Zahl von Menschen, die arm, dement oder beispielsweise dick sind. Durch die Häufung werden solche Eigenschaften zu Themen, mit denen die Gesellschaft sich wohl oder übel befassen muss. Es dient einer unvoreingenommenen Auseinandersetzung gerade nicht, wenn sie mit einer übervorsichtigen Terminologie angegangen wird, die eine generelle Furcht vor Schuldzuweisungen und Vorurteilen signalisiert.

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