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Gute Politik und Politik des Guten

Um das Referendum gegen die Verschärfung des Asylgesetzes wird nicht so sehr zwischen rechts und links, sondern zwischen links und links gestritten. Die national-konservative Rechte kann sich zurücklehnen, weil sie so oder so gewinnen wird. Sollte es nämlich zur Abstimmung kommen, so wird sie einen bequemen und deutlichen Sieg einfahren und zusätzlich den Vorteil einer erneuten plebiszitären Legitimierung ihrer restriktiven Politik gegen Fremde und Flüchtlinge einheimsen.

 

Streitgegenstand ist eine vom Parlament beschlossene Gesetzesrevision, die zum Ziel hat, den Zustrom von Asylsuchenden zu bremsen und Missbräuche wirksamer zu bekämpfen. Ob diese Veränderungen die deklarierten Ziele erfüllen werden, ist im besseren Fall ungewiss und teilweise offensichtlich zweifelhaft. Der politische Druck zur Verschärfung von Gesetz und Praxis kam von Kreisen, welche offen mit Fremdenfeindlichkeit Politik machen und das Land möglichst dicht abschotten wollen – zumindest gegen «fremdartige» Fremde und solche, die soziale Unterstützung benötigen. Das Parlament hat den Impuls von Rechts ein Stück weit ausbalanciert und einen Kompromiss gefunden. Dass sich dagegen nun mit dem Referendum ein Widerstand formiert, ist in der Taktik der Rechten zweifellos einkalkuliert: Indem sie im Parlament gezielte Provokationen an die Adresse der Linken durchpaukten, haben sie, wie eingangs gesagt, eine Win-Win-Position erreicht. Sozialdemokraten, Grüne und die mit ihnen in Asylfragen Verbündeten sind in der Zwickmühle: Entweder sie stehen zum parlamentarischen Kompromiss und entzweien das eigene Lager, oder sie schwenken auf das Referendum ein und steuern bei der Volksabstimmung sehenden Auges auf eine weitere Schlappe in dieser Thematik zu. Das zweite würde die politische Lufthoheit der Rechten in der Flüchtlings- und Ausländerpolitik generell verfestigen.

 

Der Clinch hat exemplarischen Charakter. Humanitäre und asylpolitische Leitideen stossen nicht nur mit einzelnen Bestimmungen, sondern fast mehr noch mit dem Geist dieser Gesetzesrevision so heftig zusammen, dass deren Zurückweisung engagierten Kreisen zwingend erscheint. Gibt es unter solchen Umständen Spielraum für ein politisches Abwägen?

 

Wer dies verneint, muss sich jedoch fragen, ob mit Blick auf die nicht nur wahrscheinliche, sondern kalkulierbare Niederlage in einer Volksabstimmung ein Referendum in dieser Sache zu verantworten sei. Haben die Nachteile des revidierten Gesetzes so viel Gewicht, dass man unbedingt politisch sauber bleiben und daher die Desavouierung im Plebiszit auf sich nehmen muss?

 

Vor zwei Tagen habe ich in meinem Journal-21-Artikel «Politik und Marketing – eine Mésaillance?» in etwas anderem Zusammenhang mit Max Webers Unterscheidung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik befasst. Ich sehe bei den Promotoren des Asylgesetz-Referendums ein Musterbeispiel von Gesinnungsethik: Sie stellen das Reinhalten ihres politisch-humanitären Ethos über die realistische Folgenabschätzung. Es kann durchaus sein, dass da und dort sogar ein gewisser Trotz der Minderheit mitschwingt, die ihre prognostizierte Niederlage quasi zum Beweis ihrer Rechtschaffenheit nimmt.

 

Allerdings lässt Max Weber in seinem epochalen ethischen Konzept eine Tür offen, ein unbeugsames Insistieren auf der eigenen Überzeugung fallweise als legitim zu anerkennen. Seinen Gedanken folgend, stelle ich deshalb meine Einschätzung der Kontrahenten nochmals auf die Probe, indem ich mit Weber frage: Geht es beim Widerstand gegen die Gesetzesrevision um fundamentale Werte, für die man sich bedingungslos – und das heisst hier: ohne Abwägen relativer Vor- und Nachteile – in die Schanze schlagen soll?

 

Ein offener Disput über diese entscheidende Frage würde voraussetzen, dass beide Seiten Politik als ein Handlungsfeld verstehen, auf dem es fast immer um abwägbare Pros und Kontras geht und nur in seltenen Ausnahmesituationen um ein unverrückbares Ja oder Nein. Oppositionelle Politik hingegen neigt – und zwar nicht zuletzt aus Gründen des politischen Marketings – dazu, sehr rasch jedes Abwägen für obsolet zu erklären und sich das bedingungslose Ja oder Nein auf die Fahne zu schreiben.

 

Wenn ich Webers Kriterien anwende, komme ich bei diesem Streitfall zum Schluss, die Anstrengung einer Volksabstimmung sei Ausdruck einer politisch problematischen Gesinnungsethik. Sie versucht an einer Politik des Guten festzuhalten, macht aber unter den gegebenen widrigen Umständen keine gute Politik.

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