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Blasphemie? Cool down!

Das Stichwort Blasphemie hat sich geräuschvoll und bedrohlich im Alltag zurück gemeldet. Gotteslästerung als Straftatbestand gehört aus unserer Sicht eigentlich in vormoderne, vor-aufgeklärte Zeiten. Nun aber scheint es fast Nachrichtenroutine zu sein, dass in Teilen der muslimischen Welt verschärft gegen Blasphemie vorgegangen wird, und zwar mit Androhung der Todesstrafe. Es macht zudem den Eindruck, der rabiate Schutz der eigenen Religion sei für traditionalistische Moslems direkt gekoppelt an ihre Überzeugung, der Islam sei zunehmend durch westliche Einflüsse bedroht. Islamisten reden vom Krieg der ungläubigen Westler gegen ihre Religion.

 

Der unerbittliche Kampf von Gläubigen gegen das, was sie Gotteslästerung nennen, ist selbstverständlich kein exklusiv moslemisches Merkmal. Das dritte der Zehn Gebote im Alten Testament stellt für den Missbrauch des Gottesnamens drohend eine Bestrafung durch Gott selbst in Aussicht. In Leviticus 24 wird dann aber handfest geschildert, wie ein Lästerer bestraft wird, nämlich mit der gemeinschaftlichen Exekutionsmethode der Steinigung. Drei Jahrtausende danach finden wir in Pakistan oder Somalia das gleiche Verständnis von Religion und Recht.

 

Die Geschichte des Christentums ist bis in die Neuzeit voll von vergleichbar grausamen Strafen für alle Arten von Abweichungen im Glauben, Reden und Handeln. Inquisition, Hexenprozesse, die Verfolgung der Täufer in Zwinglis Zürich und die Verbrennung Michel Servets in Calvins Genf: Immer geht es um die Reinhaltung einer herrschenden Doktrin mittels Unterdrückung abweichender Überzeugungen.

 

Was sich dabei abspielt, ist nichts anderes als ein Kampf um Macht – und somit eigentlich ein historischer Normalfall. Erst die Aufklärung erhob den vorher schon da und dort aufgeblitzten Toleranzgedanken zum Postulat: Auf dem Feld der Meinungen, Überzeugungen, Lebenshaltungen und geistigen Auseinandersetzung soll es keine erzwungene Unterwerfung mehr geben; Unterschiede und Abweichungen sind als Konsequenz von Meinungsfreiheit und geistiger Selbstverantwortung zu tolerieren und zu respektieren.

 

Die Erfüllung dieses Postulats fällt augenscheinlich gerade den monotheistischen Offenbarungsreligionen nicht leicht. Christentum, Judentum und Islam verstehen sich traditionell je als von ihrem Gott zusammengerufene Gemeinschaften. Ihr Glaube rekurriert auf ein transzendentes Geschehen. Ein ausserhalb oder über der Erfahrungswelt stehender Akteur hat sich den Menschen mitgeteilt, sich als ihr Gott – direkt oder durch Mittler – zu erkennen gegeben. Davon berichten die Heiligen Schriften der drei vorderorientalischen Religionen, die sich dann historisch behauptet und vielfältig entwickelt haben. Das Offenbarungsprinzip erwies sich religionsphänomenologisch gesehen als weltgeschichtliches Erfolgsmodell.

 

Dieses Modell zeigt helle und dunkle Seiten. Es hat Aufklärungen hervorgebracht: im Judentum der Spätantike in Form einer Kunst der Interpretation; im Islam von den Anfängen bis zum 13. Jahrhundert als reiche Kultur und lebhafte Theologie; im Christentum seit dem 16. Jahrhundert mit dem Aufbruch zur geistigen Freiheit, zu dem das europäische Judentum bedeutende Beiträge leistete.

 

Zu den dunklen Seiten des so erfolgreichen Offenbarungskonzepts gehört die unduldsame Abwehr gegen Angriffe auf seinen Kerngehalt. Lästerung, Verhöhnung oder Negierung der Gottheit ist für jede dieser Religionen gefährlich, weil solche Attacken sich gegen das Zentrale richten und weil sie nicht mit allgemein plausiblen Argumenten auf sprachlich-geistiger Ebene abgewehrt werden können. Glaubenssachen sind verletzlich und kaum zu schützen, es sei denn durch Verbote, welche mit drakonischen Strafandrohungen bewehrt sind.

 

Neben der Kapitalstrafe für Blasphemie gibt es für Anhänger der Offenbarungsreligionen nur zwei Wege, mit verbalen Offensiven gegen ihren Glauben fertig zu werden. Die erste hat eine geistliche, die zweite eine geistige Basis. Wer die Überweltlichkeit Gottes wirklich ernst nimmt, kann diesen Gott durch eine menschliche Verbalattacke nicht in Frage gestellt sehen. Gott angemessen gross zu denken – dies ist der erste, gewissermassen der geistliche Schutz gegen Blasphemie.

 

Die zweite Möglichkeit schliesst die erste nicht aus. Sie besteht in der Aufklärung der Religion selbst. Zwar trat etwa die christliche Kirche historisch vielfach als Gegnerin der Aufklärung auf den Plan. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass zahlreiche aufklärerische Impulse aus den monotheistischen Religionen stammen oder sich mit deren Motiven (etwa der wesenhaften Gleichheit aller Menschen vor Gott) amalgamiert haben. Aufgeklärte Religiosität ist historisch vielfach belegt und auch heute in den drei monotheistischen Religionen (nicht nur da, aber um sie geht es hier) wirksam. Aus solchen Haltungen heraus entspringt ein souveräner, entspannter Umgang mit  Blasphemie.

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