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Tchibo kauft die NZZ

Natürlich ist das Unsinn. Ziemlich unsinnig. Zumindest nicht sehr wahrscheinlich. Zwar hat gerade Jeff Bezos, der milliardenschwere Boss und Besitzer von Amazon, die altehrwürdige «Washington Post» gekauft. Und Amazon ist ja ungefähr ähnlich sortiert wie Tchibo, nur grösser und ohne Ladenlokale. So gesehen, ist der Gedanke, ein Unternehmen dieser Art könnte irgendwann auch eine NZZ kaufen, doch nicht so völlig fern jeder Realität.

 

Spielen wir das also mal durch: Tchibo schnappt sich die NZZ, Tamedia geht an Bertelsmann, Philip Morris kauft Ringier. So wenig die Motive des zweifellos geschäftstüchtigen Jeff Bezos durchschaubar sind, die ihn bewogen, sich die «Post» zu holen, so unklar dürfen in unserem Spiel die Gründe für die Takeovers schweizerischer Medienhäuser bleiben.

 

Der neue Besitzer der «Washington Post» hat vor einiger Zeit erklärt, er lese keine gedruckten Zeitungen mehr. Er ist damit bekanntlich nicht allein. Manche Kommentatoren trauen ihm zu, für das News-Business ähnlich umwälzende Ideen entwickeln zu können wie für sein Stammgeschäft. Neuerungen dieses Kalibers werden zweifellos gebraucht; die Gründe der Notwendigkeit sind bekannt und müssen hier nicht ausgebreitet werden. Aus der Verlagsbranche kamen die Ideen bisher nicht, obschon die Krise des «Geschäftsmodells Print» seit mindestens zwanzig Jahren episch diskutiert wird. Warum also sollten nicht Top-Cracks aus anderen Branchen den Durchbruch schaffen?

 

Wie der aussieht, weiss bekanntlich niemand (sonst hätte auch die «Washington Post» nicht verscherbelt werden müssen). Nur soviel wage ich zu prognostizieren: Der Wandel wird wird einigen Lebenslügen der Medienwelt den Boden entziehen.

So wird sich herausstellen, dass die Öffentlichkeit – jener Raum also, in dem Ansichten zirkulieren und Meinungen geformt werden – durchaus nicht auf Gedeih und Verderb am herkömmlichen Mediensystem hängt. Es wird sich auch zeigen, dass dieses System längst nicht so entscheidend zur Aufgeklärtheit der Gesellschaft beigetragen hat, wie das dessen Verteidiger immer behauptet haben. Die Demokratie wird keine substanzielle Einbusse erleiden.

 

Der Wandel, dessen Richtung noch verborgen ist, wird vielmehr deutlich machen, dass der Löwenanteil der Medienleistungen schon immer Unterhaltung war, dass die Marktlogik die Medienwelt bis auf wenige Nischen schon längst durchdrungen hat und dass es für alle ihre Angebote Ersatz geben kann – von anderen Quellen mit neuen Geschäftsideen vermutlich im Internet verbreitet.

 

Es wird sich erweisen, dass es immer eine dünne Schicht der Gebildeten, Interessierten und Gutgestellten war, welche dem Idealtypus des aufgeklärten Medienpublikums annähernd entsprach. Und diese Schicht wird sich auch unter neuen Bedingungen zu helfen wissen: Sie wird die benötigten Informationen finden, passende Foren der Meinungsbildung aufspüren oder sich solche erschaffen, und sie wird neue Kommunikationsgewohnheiten entwickeln, die der gewünschten sozialen Distinktion dienen.

 

Nun, der Käufer der NZZ muss nicht gerade Tchibo heissen. Ein bisschen mehr intellektuellen Sex-Appeal wünsche ich mir für schon für diesen Merger.

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