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Rehabilitation am Pranger

Nach zwei schrecklichen Mordfällen, begangen von Gewaltverbrechern, die sich während des Strafvollzugs für Rehabilitationsmassnahmen ausserhalb des Gefängnisses befanden, ist die Diskussion um Strafe und Therapie wieder einmal neu entbrannt. Ein verschärftes Regime fordern zum einen Betroffene, namentlich Angehörige von Verbrechensopfern, zum andern Politikerinnen und Politiker, hauptsächlich aus dem Segment Mitte-Rechts.

 

„Diskussion“ ist eigentlich nicht die richtige Bezeichnung. Was sich zurzeit artikuliert, ist ein Proteststurm gegen ein Denken, das den Täter und seine Rehabilitation in den Mittelpunkt aller Bemühungen stellt und dabei die Straftäter angeblich viel zu sanft anfasst. Zusätzlich befeuert wird der Zorn von dem in den Medien breit verhandelten „Fall Carlos“ mit seinen Schilderungen teurer und wohl auch zweifelhafter Massnahmen für die Eingliederung eines jugendlichen Gewalttäters. Nicht den Tätern, so der Tenor, sondern den Opfern soll die primäre Fürsorge des Staates gelten.

 

Wenn auch bei Schutz und Unterstützung von Verbrechensopfern tatsächlich einiges im Argen liegt, so ist doch die Gegenüberstellung des Umgang mit Tätern zu jenem mit Opfern in erster Linie politische Rhetorik. Die beiden Handlungsfelder haben wenig miteinander zu tun. Im aktuellen Sturm gelten die Leidenschaften ohnehin nur der einen Seite, nämlich derjenigen des Täters. Er ist zu bestrafen, und falls er gefährlich ist, soll die Gesellschaft vor ihm geschützt bleiben. Deshalb kommt jetzt die politische Forderung, rückfällige Gewaltverbrecher seien in jedem Fall auf Lebenszeit zu verwahren. Auch der in der Schweizer Politik bislang einvernehmlich tabuisierte Ruf nach der Todesstrafe ist am rechten Rand bereits zu hören. Findet er Widerhall, so könnte er für Rechts-Parteien womöglich zur Versuchung werden.

 

Die Wut richtet sich nicht nur gegen die Täter, sondern fast ebenso sehr gegen Verantwortliche des Strafvollzugs sowie gegen Psychiater, Ärztinnen, Psychotherapeutinnen, Sozialarbeiter. Ihnen wird im besseren Fall Blauäugigkeit, im schlechteren Gleichgültigkeit, Inkompetenz und Schlendrian vorgeworfen. Es gebe eine aufgeblähte Begutachtungs- und Rehabilitationsindustrie, heisst es, und die verteidige in anmassender Weise letztlich ihre eigenen Interessen.

 

Wieweit die Vorwürfe in den aktuellen Fällen zutreffen und ob es generelle Missstände gibt, kann ich nicht genügend beurteilen. Wenn die politischen Reaktionen der zuständigen Regierungsrätinnen in Genf und Waadt nach den beiden Morden mehr sind als PR zwecks eigenem Machterhalt und Beruhigung der Öffentlichkeit, so lag offensichtlich einiges im Argen. Nun ist es aber ein Unterschied, ob man Fehler im Strafvollzug beheben oder gleich dessen therapeutische Ausrichtung zum Teufel schicken will.

 

Die auf Rehabilitation zielenden Therapien beruhen auf der Vorstellung, Menschen könnten sich grundsätzlich entwickeln und (in Grenzen) ändern. Therapie arbeitet auf dieser Grundlage. Sie ist bereit, Menschen soweit zu vertrauen, wie sie ihnen eben den Willen und die Fähigkeit zu einer positiven Persönlichkeitsentwicklung zutrauen kann. In einem professionellen Rahmen ist dieses Zutrauen nicht bedingungslos, sondern es stützt sich auf Diagnosen, Prognosen und genau beobachtete Entwicklungsschritte. Voran gebracht wird der Prozess durch Forderungen und Vertrauen. Beides tragen die Bezugspersonen des Strafgefangenen in der jeweils möglichen Weise an ihn heran. Beides geht ihm ans Lebendige und nötigt ihm eine persönliche Antwort, einen Lebensentscheid ab.

 

Therapie ist kein Wellness-Programm, sondern ein Kampf mit sich selbst. Dieser führt nicht sicher zum Erfolg; der Sträfling kann den Kampf verlieren oder gar verweigern und so das Ziel der Rehabilitation verfehlen. (Was mit diesen Verlierern zu geschehen hat, ist ein juristisch ungelöstes und vielleicht auch unlösbares Problem, das aber mit dem grundsätzlichen Ansatz des auf Rehabilitation gerichteten Strafvollzugs an sich nichts zu tun hat.) Immerhin ein Teil der Strafgefangenen aber schafft es und findet den Weg in die Gesellschaft.

 

Ohne ein Element des Vertrauens gibt es keine Rehabilitation. Es im gegebenen Moment zu gewähren und in richtiger Form therapeutisch einzusetzen, ist eine grosse professionelle Anforderung an alle Bezugspersonen und Verantwortlichen im Strafvollzug. Sie können diesen herausfordernden Job nur machen, wenn in der Gesellschaft eine grundsätzliche Akzeptanz für die Maxime der Rehabilitation und für ein professionell geleitetes Vertrauen besteht.

 

Deshalb ist es nicht gleichgültig, wie die öffentlichen Anklagen und Dispute rund um die genannten Fälle nun weiterlaufen. Kritik an Fehlentwicklungen, die schon mehrfach tragische Folgen hatten, ist unabdingbar. Sie muss aber sachlich sein und sich populistischer Ausschlachtung enthalten.

 

Ein gutes Beispiel besonnener Kommentierung ist Daniel Gernys Artikel in der heutigen NZZ.

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