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Gebet mit Stühlen

Tadashi Kawamata baut „Installationen“. Besonders scheint er Türme zu lieben. Einer davon, gebaut aus Holzscheiten, steht seit ein paar Monaten auf dem Gelände der Kartause Ittingen. Das dortige Kunstmuseum Thurgau widmet Kawamata gleichzeitig eine Ausstellung, die unter dem Titel „Prekäre Konstruktionen“ etliche seiner Arbeiten dokumentiert. Sie bietet Gelegenheit, einen gescheiten und auf freundliche Weise subversiven Künstler kennenzulernen. Kawamata setzt dem Perfektionswahn unserer Zivilisation seine vergänglichen, gebrechlichen, verspielten Objekte entgegen. Entscheidende Anregungen habe er beim Besuch von Favelas erhalten.

 

 

Besonders hat mich Kawamatas 1997 in der Chapelle Saint-Louis des Hôpital de la Salpêtrière in Paris geschaffenes Kunstwerk gepackt. Hierfür schaffte er aus verschiedenen Kirchen Tausende von Stühlen und Bänken herbei. Im Kirchenraum – die „Kapelle“ hat beeindruckende Dimensionen – wurden sie zu mächtigen Installationen zusammengebaut. Unter der Vierungskuppel ragt nun ein innen offener Rundturm auf, zu dem vom Hauptschiff her eine grottenartige Passage führt. Die zahllosen alten Stühle sind zu filigranen Strukturen, man möchte sagen, verflochten oder gestrickt.

 

Die im Museum laufende Video-Dokumentation zeigt nicht nur den technisch anspruchsvollen Aufbau, sondern auch Menschen, die ihn miterleben: neben Tadashi Kawamata einen beteiligten Arbeiter vermutlich maghrebinischen Ursprungs, eine ältere Kirchenbesucherin, den Pfarrer. Der Arbeiter meint zu Beginn, er sehe den Sinn der Übung nicht. Die Dame beklagt sich über mangelnden Respekt des Künstlers vor dem sakralen Raum. Als die gestalterische Idee dann allmählich sichtbar wird, ist der Arbeiter wie vom Donner gerührt. Er ist begeistert, ergriffen. Und stolz, an dem Werk mitzuarbeiten. Die Dame steht lange schweigend vor dem Turm. Schliesslich bringt sie die Worte heraus, es sei etwas Würdevolles entstanden. Der Pfarrer sieht in den zum Kunstwerk verwandelten Stühlen ein Gebet, das zum Himmel steigt.

 

Ich hätte das gern im Original gesehen. Selbst im Kleinformat des Doku-Videos hinterlässt die Installation einen überwältigenden Eindruck. Sie füllt die Kirche aus mit einer Geste der Demut. Aus dieser Paradoxie des demütigen Besitzergreifens holt das Werk seine stupende Kraft. Kawamata liest den Raum, wie er öffentliche Plätze und architektonische Ensembles liest: spielerisch, subversiv, zugleich aber feinfühlig und mit wachem Interesse für die gebauten Sinnbotschaften.

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