Erster Eindruck: Da gibt’s gar keine Stadt, nur weit verstreute Ansammlungen von Hochhäusern, verbunden durch nagelneue Autobahnen, die von ebenso aufwendigen wie zweckfreien Gartenanlagen gesäumt und verschwenderisch beleuchtet sind. Das Hilton von Abu Dhabi entpuppt sich dann aber als behaglicher Ort: schon etwas angejahrt, aber gepflegt. Es bietet sogar ein richtig gemütliches Kaffee, die Restaurants sind ausgezeichnet, und der Service ist durchwegs vom Feinsten.
Die Tagestour zur 160 Kilometer entfernten Oasenstadt Al Ain machen wir mit einem indischen Guide und Fahrer. Er zeigt uns einen Lebensmittelmarkt, zwei Museen, den Kamelmarkt und den Hausberg der Stadt, den der Scheich Sowieso mit einer breiten und selbstverständlich durchgehend beleuchteten Strasse erschliessen liess, um seine Paläste auf dem Gipfel bequem erreichen zu können.
Die Devotion gegenüber den Herrschern ist allgegenwärtig. Überall ihre Bilder, Namen, Residenzen. Der Kommentar auf der Sightseeing Tour durch Abu Dhabi preist ihre Wohltaten und den rasanten Fortschritt, den sie eigenhändig und dank ihrer weitblickenden Visionen vorantreiben.
Das Öl hat in der Tat eine dramatische Umwälzung ausgelöst. Im Verlauf eines knappen halben Jahrhunderts wurde buchstäblich alles, was hier zu sehen ist, aus dem Boden gestampft. Und Abu Dhabi ist noch immer eine Baustelle von gigantischen Ausmassen. Dauernd werden neue Städte entworfen, geplant, gebaut. Gut vorstellbar, dass dieser Rausch dereinst nicht am Versiegen des Geldes oder an der Sättigung des Geltungsdrangs seine Grenze findet, sondern vorher noch an kulturellen Widerständen und ökologischen Limiten.
Das Besucherzentrum des Grossprojekts Saadiyat Island präsentiert die Planung für diese „Kulturstadt“: Jean Nouvel baut den Louvre, Frank Gehry das Guggenheim, Zaha Hadid das Performing Arts Center, Norman Foster ein Ethno-Museum, das den westlichen Kulturimporten das arabische Eigene zur Seite stellen soll. All dies eingebettet in eine Retortenstadt, die Kreativität, Kultur und Kommunikation hervorbringen soll. Die als zusammenhängender Entwurf realisierte Stadt also, eine Idee, die schon dutzendfach gescheitert ist. Hier wird sie ein weiteres Mal errichtet; wahrscheinlich mit mehr Mitteln als je zuvor.
Zur hybriden Stadt passt der Freizeitpark Ferrari World auf dem benachbarten Yas Island. Es ist der grösste, teuerste, schnellstwachsende, verrückteste der Fun Parks, und er ist eine genauso potente Geldmaschine wie die nebenan gebaute Formel-1-Strecke.
Yas Island und Saadiyat Island stehen für Abu Dhabis Bemühen, einen Spitzenrang unter den Must-have-seens der Welt zu ergattern und mit gigantisch angerichteter Verwertung westlicher Top-Brands aus Kultur und Sport so etwas wie eine Identität zu synthetisieren.
Die Arbeit machen die 80 Prozent der Einwohner, die als Migranten aus Pakistan, Indien und weiteren Ländern kommen. Sie leben unter prekären rechtlichen und auch ökonomischen Bedingungen. Das Reichtumsgefälle zwischen dem Ölland Abu Dhabi und den Drittwelt- oder Schwellenländern wird diese Verhältnisse noch für lange Zeit stabil halten. Für die Minderheit, die als Staatsbürger von der paternalistischen Oligarchie der Scheichs profitiert und für die Mehrheit, die als rechtlose Arbeiterinnen und Arbeiter hier noch immer viel besser leben als in ihren Herkunftsländern gibt es wenig Chancen für Veränderung.
Bloss, wie überlebt eine Gesellschaft auf Dauer, die einer durch Geburt privilegierten kleinen Gruppe grundsätzlich alle White-collar-jobs reserviert und sich die alleinige Kompetenz des politischen und wirtschaftlichen Führens anmasst? Das Land schirmt seine Elite gegen Konkurrenz ab und verzichtet auf das geistige Potenzial von 80 Prozent seiner Menschen wie auch auf die volle Beteiligung der Frauen.
Hält Abu Dhabi an seinem Gesellschaftsmodell fest, so wird es für einige Jahrzehnte der reiche, nicht ganz ernstgenommene Parvenu sein – und irgendwann zurückfallen. Das Zukunftsbild maroder Wolkenkratzer, verödeter Yachthäfen und zerfallender Autobahnen will mir nicht aus dem Kopf.
Emirates Palace, das ist die totale, die masslose Übertreibung der Idee Luxushotel. Der Marmorboden der Vorfahrt wird nach jeder Limousine, die Halt gemacht hat, blitzartig von uniformierten Bediensteten blank geschrubbt und getrocknet. Was immer einem vor Augen kommt, ist echt, massiv, auserlesen. Das Hotel hat die Ausmasse einer kleinen Stadt, die Parkanlagen bilden eine weitläufige Landschaft, Korridore und Hallen sind mindestens vier Stockwerke hoch, und alles ist in bernsteinfarbenes Licht getaucht. Unser ungläubiges Staunen weicht bald einem Aberwillen. Dem Palast geht jeder Charme ab, jede Spur von Eleganz. Seine Protzerei schlägt sich selber tot.
Ungläubige, also Nicht-Moslems, dürfen in den Emiraten Moscheen generell nicht betreten. Die Grosse Moschee hingegen ist eine Touristenattraktion. Wir besichtigen sie unter der Führung einer bezaubernden blitzgescheiten Frau von Anfang Zwanzig. Sie spricht ein geschliffenes Englisch und trägt die schwarze Abaya mit Eleganz. Als sie das wohlwollende Interesse unserer Gruppe spürt, taut sie auf, legt den belehrenden Ton ab, sprüht von Witz und Lust am Dialog. Immer direkter fordert sie uns auf, die „heiklen“ Fragen zu stellen. Sie ist überzeugt, der äusserliche Fortschritt werde auch die Gesellschaft in Innern erfassen.
Die Moschee zeigt den gleichen Imponiergeist wie das Emirates Palace: gross, prachtvoll, kostbar muss alles sein. Obwohl die Üppigkeit ist hier disziplinierter auftritt und der Kontemplation Raum lässt, ist die Moschee nicht frei vom Gestus der Überbietung, der religiösen Propaganda. Nun, gleiches wäre auch von so manchem christlichen Dom zu sagen. Ob St. Peter oder Grosse Moschee: Pracht kann schnell einmal zuviel sein. Unter dem Druck des Imponierwettbewerbs kippt das ambitiös Geschaffene ins Machwerk. Es erdrückt sich selbst mit der Last des Demonstrativen.
Arbeit ist sichtbar billig in den Emiraten. Restaurants haben, so der Eindruck, dreimal so viel Personal wie in Westeueropa üblich. Auf Baustellen wimmelt es von Behelmten. Schichtwechsel setzen ganze Völkerwanderungen in Gang. Angebot und Nachfrage steuern Kosten und Wert der Arbeit in schonungsloser Sichtbarkeit. Was wir aus Gesprächen mit Hotelangestellten und aus den Stellenanzeigen der „Gulf News“ erfahren, bestätigt es: Die Löhne sind auch für qualifiziertes Personal bescheiden. Unqualifizierte Arbeitsmigranten aus den typischen Rekrutierungsländern zwischen Jordanien und Indien bekommen ihre Austauschbarkeit auf dem Markt brutal vorgerechnet.
Dieses brutale System hat aber immerhin den Vorteil, dass es zunächst einmal massenhaft Jobs schafft – die Migranten finanzieren mit ihren Löhnen zuhause ganze Grossfamilien – und dass es sich selbst im Prinzip zur Beweglichkeit zwingt. Das Prinzip wäre folgendes: Steigt die Nachfrage nach Qualifizierten, so verbessert sich deren Lage, und bekommen die zunächst unqualifizierten Migranten dank gestiegener Erfahrung mit der Zeit die Möglichkeit der Auswahl, so werden sie früher oder später ihren gewachsenen Marktwert ebenfalls in bessere Löhne umsetzen können. Bloss, ob solche Gesetzmässigkeiten auch wirklich in nützlicher Frist und in spürbarem Ausmass greifen, das erscheint sehr ungewiss. Es besteht die Gefahr, dass die Reservoirs von Arbeitsuchenden im Nahen und Mittleren Osten derart riesig sind, dass die Dynamik von Angebot und Nachfrage ausgehebelt bleibt.
Reisenotizen vom Februar 2012
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