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Aggressive Weicheier

Ronald Sullivan Jr., Professor für Recht an der Harvard University, amtet zusammen mit seiner Frau Stephanie Robinson – Harvard-Professorin auch sie – als «Hauseltern» von Winthrop, eines Harvard-Studentenheims mit 400 Bewohnern. Die beiden sind die ersten Schwarzen, die diese prestigeträchtige Funktion ausüben. Vor kurzem gab es die Meldung, das Ehepaar Sullivan/Robinson müsse den gemeinsam versehenen Job abgeben. Sowas kommt ja vor; aber dieser Fall ist besonders.

 

Sullivan ist ein renommierter Strafverteidiger. Er hat unter anderem die Familie des schwarzen Teenagers Michael Brown vertreten, der in Ferguson, Missouri von der Polizei erschossen worden war. Ein anderes seiner Mandate wurde für ihn nun zum Stolperstein: Sullivan schloss sich dem Verteidigerteam Harvey Weinsteins an, des Filmproduzenten, der mehrerer Vergewaltigungen und weiterer sexueller Übergriffe angeklagt ist. Weinstein ist noch nicht verurteilt. Auch wenn Weinsteins Verbrechen in der Öffentlichkeit – möglicherweise zu Recht – als erwiesen gelten, ist er juristisch gesehen unschuldig, bis ein Gericht seine Schuld rechtsgültig feststellt.

 

Mit diesem Sachverhalt waren zahlreiche Studierende der Elite-Uni Harvard offensichtlich überfordert. Sie protestierten vehement gegen Sullivan und schmierten Parolen wie «Auf welcher Seite stehst du?» Obwohl Sullivan das Gespräch suchte, konnte er den aufgebrachten Studis nicht beibringen, dass im Rechtsstaat jeder, auch der abscheulichste Angeklagte, ein Recht auf Verteidigung in einem ordentlichen Verfahren hat – und dass es zu den Aufgaben von Anwälten gehört, dieses Recht praktisch auszuüben.

 

Doch damit nicht genug. Mehrere Studierende beklagten sich bei ihrer Uni darüber, sie seien durch Sullivans Parteinahme für Weinstein traumatisiert. Und sie verlangten, Harvard müsse den Professor, der ihnen mit seinem Verteidigermandat seelische Beschwerden mache, in die Wüste schicken. 

 

Das zuständige Universitätsgremium habe, so berichtet Sullivan, ihn zunächst angehört. Doch dann sei das Gespräch mit ihm einseitig abgebrochen worden, und Harvard habe entschieden, ihn zu entlassen. Als Grund nannte die Universitätsleitung die verschlechterte Atmosphäre unter den 400 Winthrop-Bewohnern.

 

Harvard, ein Leuchtturm der amerikanischen Wissenschaft und Bildung, ist nach haltlosen Protesten einiger Weicheier, die sich den geistigen Anforderungen der Aufklärung verweigern, sogleich eingeknickt. Was für ein phantastischer Erfolg für die Exponenten einer aggressiv überschiessenden Political Correctness! Was für eine Bankrotterklärung einer der berühmtesten Hochschulen!

 

Nachtrag am 29. Mai: Heute hat die NZZ zum Fall Harvard/Sullivan einen grösseren Artikel publiziert, der über weitere Einzelheiten informiert.

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