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Achtung, Juristen!

Die Novartis-GV wurde dieses Jahr mit besonderer Spannung erwartet. Eine Abgangsentschädigung von 72 Mio. Franken für Daniel Vasella hatte vor dem Hintergrund der kurz bevorstehenden Abzocker-Initiative erregte Diskussionen ausgelöst. Aufgrund dieser Konstellation war es auch für Aussenstehende und Nicht-Wirtschaftsexperten verlockend, via Video-Stream der Novartis-Website in die GV reinzuschauen. Auch ich habe das getan.

 

Zugeschaut habe ich nur kurz; eine GV ist und bleibt ein dröger Anlass. Kein Grund, sich selber anzutun, was Medienleute gegen Bezahlung an meiner Statt zu erledigen pflegen. Ungemein fasziniert hat mich aber ein der unternehmenseigenen Information auf der Novartis-Site vorgeschalteter Text. Hier ist er in voller Länge:

 

„Die nachfolgenden Präsentationen enthalten zukunftsgerichtete Aussagen. Diese Aussagen sind daran erkennbar, dass sie Begriffe wie „möglich“, „erwartet“, „Ausblick“, „werden“, „geplant“ oder ähnliche Wörter beinhalten oder sich ausdrücklich oder implizit auf mögliche neue Produkte, mögliche neue Indikationen für bestehende Produkte, mögliche künftige Erlöse aus diesen Produkten, mögliche Ergebnisse der Bestrebungen von Novartis zur Verbesserung der Qualitätsstandards an einigen oder allen ihren Produktionsstandorten oder mögliche zukünftige Umsätze oder Erträge des Konzerns oder einer seiner Divisionen auf kurze oder lange Sicht beziehen oder Strategien, Pläne, Erwartungen oder Absichten erörtern. Es wird empfohlen, sich nicht zu stark auf diese Aussagen zu verlassen. Diese zukunftsgerichteten Aussagen widerspiegeln die derzeitige Ansicht des Konzerns hinsichtlich zukünftiger Ereignisse. Sie unterliegen bekannten und unbekannten Risiken, Ungewissheiten und anderen Faktoren, die dazu führen können, dass die zukünftigen Ergebnisse und Entwicklungen wesentlich von den gegenwärtigen Erwartungen abweichen, die in diesen zukunftsbezogenen Aussagen beschrieben werden oder impliziert sind. Es gibt keine Gewissheit dafür, dass neue Produkte oder neue Indikationen für bestehende Produkte für den Verkauf in einem bestimmten Markt zugelassen werden, dass zu erteilende Zulassungen zu einem bestimmten Zeitpunkt erteilt werden oder dass mit diesen Produkten ein bestimmter Erlös erzielt wird. Ferner gibt es keine Garantie dafür, dass es dem Konzern gelingen wird, die Qualitätsstandards an einigen oder allen seinen Produktionsstandorten zu verbessern oder die Produktion an bestimmten Standorten wieder aufzunehmen oder aufrechtzuerhalten. Es besteht auch keine Garantie dafür, dass der Konzern oder seine Divisionen bestimmte Finanzergebnisse – ob kurz oder langfristig – erzielen werden. Insbesondere können die Erwartungen der Geschäftsleitung u.a. durch folgende Faktoren beeinträchtigt werden: unerwartete regulatorische Massnahmen oder Verzögerungen oder neue gesetzliche Regelungen; unerwartete Ergebnisse bei klinischen Studien, einschliesslich zusätzlicher Analysen vorhandener klinischer Daten, oder unerwartete neue klinische Daten; die Fähigkeit des Unternehmens, Patente oder andere Rechte zum Schutz geistigen Eigentumes zu erhalten oder aufrechtzuerhalten, einschliesslich der Kompensation der Auswirkungen des Ablaufs des Patentschutzes für wichtige Produkte, ein Prozess, der im vergangenen Jahr begonnen hat und sich in diesem Jahr fortsetzt; unerwartete Schwierigkeiten bei der Produktion und Qualität, einschliesslich möglicher Ergebnisse der Bestrebungen von Novartis an den Standorten von Sandoz und Alcon, die von Warning Letters betroffen sind, und der Bestrebungen von Novartis zur Wiederaufnahme der Herstellung von Produkten, die zuvor im Consumer Health Werk in Lincoln, Nebraska, hergestellt wurden; Preisdruck seitens der Regierung, der Industrie und der allgemeinen öffentlichkeit; Unsicherheiten bezüglich laufender oder potenzieller Rechtsstreitigkeiten, einschliesslich unter anderem laufender und potenzieller Gerichtsverfahren in Produkthaftungsfragen, Verfahren und Untersuchungen bezüglich Verkaufs und Vermarktungspraktiken, Aktionärsklagen, Untersuchungen durch Behörden und Rechtsstreitigkeiten über geistiges Eigentum; Wettbewerb im Allgemeinen; Ungewissheiten in Bezug auf die Auswirkungen der jüngsten globalen Finanz und Wirtschaftskrise, einschliesslich der finanziellen Probleme in bestimmten Ländern der Eurozone; Unsicherheiten bezüglich künftiger globaler Wechselkurse; Unsicherheiten bezüglich der künftigen Nachfrage nach Produkten von Novartis; zwangsläufig mit langfristigen Finanzprojektionen verbundene Ungewissheiten; Unsicherheiten in Bezug auf die Entwicklung neuer Produkte; Auswirkungen der genannten Faktoren auf die Höhe der Aktiven und Passiven des Konzerns gemäss Konzernrechnung sowie sonstige Risiken und Faktoren, die im bei der US Börsenaufsichtsbehörde („Securities and Exchange Commission“) eingereichten aktuellen Jahresbericht der Novartis AG im „Form 20F“ beschrieben werden. Sollten diese Risiken oder Ungewissheiten in einem oder mehreren Fällen eintreten oder sollten sich die zugrunde liegenden Annahmen als falsch erweisen, können die tatsächlichen Ergebnisse wesentlich von den hier als erwartet, angenommen, geschätzt oder vermutet beschriebenen Ergebnissen abweichen. Novartis stellt die in diesen Präsentationen enthaltenen Informationen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zur Verfügung; Novartis ist nicht verpflichtet, zukunftsgerichtete Aussagen aufgrund neuer Informationen oder künftiger Ereignisse oder aus anderen Gründen zu aktualisieren.“

 

Sie haben diesen Absatz nicht Wort für Wort zu Ende gelesen? Sehr gut, Sie haben wahrscheinlich alle Tassen im Schrank. – Sie haben es getan? Auch gut, Sie wollten vermutlich genau wissen, was Leute so schreiben, die nicht alle Tassen im Schrank haben.

 

Ein solcher Text heisst „Disclaimer“ und dient dazu, das Unternehmen vorsorglich gegen rechtliche Klagen zu schützen. Ganze Kohorten von Juristen brüten in Legal Departmentsüber solcher Prosa. Da es bei Rechtsstreitigkeiten um riesige Summen gehen kann, wird auf allen Seiten juristisch aufgerüstet. Die einen tüfteln möglichst einträgliche Klagen aus, die andern wehren diese mit ausgeklügelten Taktiken, Vertragsbestimmungen und Verhaltensanweisungen ab. Der zitierte Disclaimer ist hierfür noch ein harmloses Beispiel.

 

Angesichts der Risiken kostspieliger Rechtsstreitigkeiten ist solche Vorsicht begründet. Sie hat aber für die Unternehmen einen enormen Preis: die Vorherrschaft der Juristen. Rechtsabteilungen schwingen sich zu Aufsichtsinstanzen auch über Bereiche auf, in denen rechtliche Expertise eher fallweise und unterstützend gefragt wäre. Legal Departments kujonieren das Personalwesen, lähmen die Unternehmenskultur, reden in die Kommunikation rein und beschäftigen eigene Leute sowie diejenigen von Kunden und Zulieferern mit ausufernden bürokratischen Leerläufen.

 

Die Verrechtlichung institutioneller Beziehungen war einmal eine zivilisatorische Errungenschaft. Sie trug dazu bei, die Gesellschaft zu rationalisieren, Willkür einzudämmen, Korruption und Machtmissbrauch zu bremsen. Recht, so hat es der unvergessene Peter Noll in „Diktate über Sterben und Tod“ notiert, ist seinem Wesen nach Begrenzung von Macht. Die erfolgreiche Errichtung der Institution Recht ist Bedingung für eine Gesellschaft, in der die Würde der Menschen geachtet ist.

 

Diese zivilisierende Aufgabe ist nie ein für allemal erledigt, sondern bleibt dem Recht und seinen Instanzen dauerhaft aufgetragen. Generelles, undifferenziertes Juristen-Bashing, wie es etwa Berlusconi betreibt, ist deshalb als Attacke gegen eine der wichtigsten Errungenschaften der aufgeklärten Gesellschaft ein absolutes No-go.

 

Im Interesse der Funktionsfähigkeit des Rechtssystems muss allerdings da Einspruch erhoben werden, wo die Juristerei durchdreht. Bürokratische Monster wie der zitierte Disclaimer und anmassend auftretende Rechtsdienste sind Anzeichen, dass es Zeit wird, sich auf die Kernfunktionen des Rechts zurückzubesinnen.

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