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Freiheit, die ich meine

Der Begriff Freiheit ist politisch zurzeit hoch im Kurs. Er ist allerdings voller Tücken.

 

Max von Schenkendorf (1783–1817), Freiwilliger in den Befreiungskriegen gegen Napoleon und romantischer Dichter des Kampfs um die Freiheit, veröffentlichte 1815 sein erfolgreichstes Gedicht. In der Vertonung von August Groos avancierte es zum populären patriotischen Volkslied. Die erste Zeile «Freiheit, die ich meine» wurde zum geflügelten Wort und vielfach verwendet in Reden, Buchtiteln, Songs, Schlagern und als Werbetext.

 

Freiheit ist zurzeit die höchstbewertete politische Vokabel. Mit ihrem legendären Solgan «Mehr Freiheit. Weniger Staat» hat die Freisinnige Partei den Begriff auf prägnante Art in Beschlag genommen. Im Jahr 1979, in der Endphase des Kalten Kriegs, bezog sie so eine scharfe Kontra-Position zur Linken. Doch mit der wachsenden Personalisierung der politischen Kommunikation um die Jahrtausendwende hat man eher wieder Abstand genommen von ideologischen Schlagwörtern. Nun wurden «kluge Köpfe» ins Feld geführt.

 

Politische Rhetorik wandelt sich in kurzen Zyklen. Lange bemühte sich die Linke um Schärfung ihres Profils mit dem Kampfbegriff Gerechtigkeit. Im Gegenzug stand die Freiheit rechts der Mitte jeweils hoch im Kurs. Wenig verwunderlich, dass die um Zuspitzung bemühten Jungfreisinnigen den alten Parteislogan von 1979 jüngst wieder in Gebrauch genommen haben. Überraschender als dieses Recycling zur Rechten ist die vom Präsidium Cédric Wermuth/Mattea Meyer zur Linken angekündigte Inanspruchnahme des Freiheitsbegriffs für die Sozialdemokratische Partei. Sie wollen gar, wie sie dem Tages-Anzeiger erklärten, die SP zur Freiheitspartei machen. 

 

Seit Hegel sie zum Zentralbegriff seiner Philosophie gemacht hat, ist die Freiheit ein Angelpunkt auch des politischen Denkens. Dass der Begriff seit dem 20. Jahrhundert so eng mit bürgerlichen Vorstellungen verbunden ist, hat indessen mehr mit dem Gang der Geschichte als mit der Eigenlogik des Freiheitsbegriffs zu tun. Politisch ist Freiheit keine festumrissene Grösse. Jeder spricht von der Freiheit, die er meint. Man kann sie sich als ein Spektrum mit fast unmerklichen Übergängen vorstellen, das von anarchistisch angehauchten Ideen der Libertären auf der rechten Seite bis zu einem sozial abgestützten und eingehegten Freiheitskonzept auf der linken Seite reicht. Das eine erscheint als Propagierung individueller Stärke ohne Fesseln und Auffangnetze, das andere als Votum für vielfältige gesellschaftliche Massnahmen, die Freiheiten ermöglichen und vermitteln sollen. Oder anders: eine ihr Ziel direkt anpeilende Politik des Verzichts auf Steuerung (negative Freiheit) rechts versus eine Politik der indirekten Schaffung von Freiheit (positive Freiheit) links.

 

Beide Freiheitsvorstellungen haben ihre Berechtigung, denn Freiheit besteht aus beidem: Regelungsverzicht und Regelung. Beide Kontrahenten haben jedoch auch ihre blinden Flecke. Tendiert die direkte negative Freiheitspolitik dazu, ihre Wirkungen für Dritte auszublenden (exemplarisch: die engstirnige Freiheitsrhetorik der Impfgegner), so hat die indirekte positive Ermöglichungspolitik das Problem, die freiheitsbeschränkenden Effekte eines anspruchsvollen Förder- und Umverteilungsapparats notorisch zu negieren (hohe Steuerlast und Regelungsdichte machen Betroffene nicht freier). 

 

Solche Unschärfen und Schwächen, die rechts und links mit Freiheitspostulaten verbunden sind, machen die entsprechende politische Begrifflichkeit zur missverständlichen und fehleranfälligen Angelegenheit. Trotzdem ist das Wort Freiheit seit den 1848er-Revolutionen – und heute wieder ganz besonders – hoch im Kurs. Keine andere politische Vokabel mobilisiert solche Energien, keine kreiert bessere Erzählungen, keine trifft so emotional und keine erreicht eine derartige existenzielle Tiefe wie dieses von allen so hochgehaltene Wort Freiheit.

 

Gleichzeitig aber generiert die Freiheitsrhetorik wegen der brisanten Kombination von begrifflicher Unschärfe und emotionalem Potenzial eine schwer kontrollierbare Dynamik. Diese kann genauso in Richtung Anarchie wie in Richtung Nationalismus ausschlagen. Wie sich heute in der diffusen Bewegung der Coronaskeptiker und Impfgegner zeigt, ist sogar eine Tendenz entstanden, die beides amalgamiert: eine anarchische, obrigkeitsfeindliche und dabei gleichzeitig sich patriotisch und fremdenfeindlich gerierende Fundamentalopposition.

 

Selbstverständlich ist der Freiheitsbegriff in jeder politischen Programmatik unverzichtbar. Nur leider setzt er, will man ihn verantwortungsbewusst gebrauchen, eine anspruchsvolle Begriffsklärung und Dialektik voraus. Das macht ihn im Grunde wenig geeignet für Wahlkämpfe und Kampagnen. Aber ausgerechnet diese Vokabel hat von allen Politbegriffen die grösste Mobilisierungskraft. – Ein Dilemma! Vielleicht müssten einfach alle, die das Wort in die politische Arena werfen, stets sagen: «Freiheit, die ich meine.»

 

Bild von berndwaelz auf Pixabay

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