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«Symbolische Klage» gegen Holcim

Das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz Heks unterstützt eine indonesische Klage gegen den Zementhersteller Holcim. Dieser gefährde die Existenz von Inselbewohnern und solle Schadenersatz leisten. Das ist in mehr als nur einer Hinsicht problematisch.

 

Am 12. Juli stellte das Heks in Bern ein Projekt zur Thematik der Klimagerechtigkeit vor: Das Hilfswerk unterstützt vier Bewohner der kleinen indonesischen Insel Pari bei ihrer Klage gegen den Schweizer Zementriesen Holcim, weil dieser durch hohen CO2-Ausstoss zum Anstieg des Meeresspiegels beiträgt und so die Existenz der Inselbewohner bedroht. Die Kläger aus Pari verlangen Entschädigungen für bereits entstandene Schäden, Mitfinanzierung von Schutzmassnahmen auf ihrer Insel und vor allem eine starke und rasche Reduktion der CO2-Emissionen durch Holcim. 

 

Wie aber wird begründet, weshalb gerade Holcim in die Pflicht genommen werden soll? Eine direkte Kausalität gibt es nicht. Der Holcim-Konzern gerät allein deshalb ins Visier, weil er als weltgrösster Zementhersteller mit der höchst CO2-intensiven Produktion ein wichtiger Verursacher der Klimaerhitzung ist. Die Kläger zitieren eine Studie, nach der Holcim für 0,42 Prozent aller seit Beginn der Industrialisierung weltweit ausgestossenen CO2-Emissionen verantwortlich sei.

 

Das klimapolitische Heks-Projekt hat erst mit einem Bericht der Zeitung «Reformiert» vom 25. August breitere Beachtung gefunden. Aus der Sicht entwicklungspolitischer Aktivisten handelt es sich um ein Modellprojekt, mit dem ein Durchbruch bei der Inpflichtnahme grosser CO2-Emittenten angestrebt wird. Hätte die am Hauptsitz des Konzerns in Zug eingereichte Klage aus Pari Erfolg, so wäre in der Tat ein Präzedenzfall gesetzt, der eine Flut von Verfahren gegen alle möglichen Verursacher von Klimaschäden auslösen könnte.

 

Die Idee hinter solchen Klagen ist eine Erweiterung des juristischen Schuldbegriffs bei der Verursachung von Schäden. Bisher muss eine klare Kausalität bestehen: Die konkrete Aktion A hat den konkreten Schaden B bewirkt; B wäre ohne A nicht eingetreten. Die für A Verantwortlichen sind bekannt, ihre konkrete materielle Verantwortlichkeit für B ist eindeutig beweisbar. 

 

Ein Verfahren wie Pari gegen Holcim hätte, müsste es solche Anforderungen erfüllen, nicht den Hauch einer Chance. Um es überhaupt zu einem «Fall» zu machen, müsste ein Schuldbegriff zur Anwendung kommen, wonach jede Emission von CO2 irgendwann, irgendwo und in irgendwelchem Umfang irgendwelche Betroffenen von Klimaveränderungen zu weitreichenden Klagen berechtigt. – Das würde bei allen noch so unbestimmten Schuldzusammenhängen Tür und Tor für juristische Willkür öffnen.

 

Lorenz Kummer, Pressesprecher des Heks, lässt sich in der Druckausgabe von «Reformiert» wie folgt zitieren: «Wir vom Heks wollen nicht einzelne Firmen zu Sündenböcken erklären. Forderungen wie jene gegenüber Holcim haben symbolischen Charakter.»

 

Mit dieser beschwichtigend gemeinten Äusserung hat Kummer das Heks erst recht in die Bredouille gebracht. Ein rechtliches Verfahren und eine symbolische Aktion sind zwei gänzlich unvereinbare Dinge. Deren Verwischung ist allerdings für politische Vorstösse aus dem Soziotop der Kirchen und NGOs nicht untypisch. Man präsentiert gern Schuldige, will sich dann aber nicht darauf behaften lassen und spricht deshalb lieber von «Zeichen setzen» oder «symbolischem Charakter».

 

Etwas ganz anderes sind konkrete Klagen gegen nachweisbares Verschulden. Es gab erfolgreiche, von NGOs ansgestrengte oder unterstützte Verfahren gegen Konzerne wegen mangelndem Schutz vor Unfällen, krankmachenden Arbeitsumgebungen, Umweltvergiftungen, fahrlässig herbeigeführten Dammbrüchen und ähnlichem. 

 

Holcim ist angeblich zu 0,42 Prozent Verursacher der Klimaschäden. Bedeutet dies, dass die Klage auf die Erstattung von 0,42 Prozent der nachgewiesenermassen vom Anstieg des Meeresspiegels verursachten Schäden und 0,42 Prozent der Aufwendungen für notwendige Schutzmassnahmen lautet? Da wäre der Lohn der Mühe für Pari allerdings sehr «symbolisch». Es würde bedeuten, dass die Insel, um entschädigt zu werden, im Prinzip alle übrigen Verursacher der restlichen 99,58 Prozent identifizieren und einzeln belangen müsste.

 

Was die Heks-Kampagne zudem ins Zwielicht setzt, ist der Umstand, dass sie die laufenden Bemühungen und Pläne der Zementbranche, die CO2-Emissionen zu reduzieren, mit keinem Wort erwähnt. Immerhin erklärt Holcim, bis 2050 klimaneutral werden zu wollen und treibt entsprechende Entwicklungen voran. Selbstverständlich sind solche Erklärungen als Unternehmens-PR kritisch zu sehen. Aber es ist doch offensichtlich, dass die klimapolitischen Forderungen in der Branche angekommen sind und ernstgenommen werden. 

Basel Messeplatz: der Kieshaufen von Lara Almarcegui vor der Fassade des Messegebäudes von Herzog & de Meuron

Und schliesslich noch dies: Warum eigentlich sollten die Hersteller von Zement belangt werden und nicht die Abnehmer, die mit ihrem grenzenlosen Betonhunger ja der eigentliche Grund für die Produktion der enormen Zementmengen sind? Die gebaute moderne Zivilisation fusst weitgehend auf dem Baustoff Beton. Ich erinnere mich an eine eindrückliche Installation an der «Art Basel» vor vier Jahren. Die spanische Künstlerin Lara Almarcegui liess damals auf dem Messeplatz einen Berg von 1'250 Tonnen Kies aufschütten für ihr temporäres Werk «The Gravel Pits of Basel» – ein ästhetisches Monument und Mahnmal für die ungebremste Zunahme beim Verbauen von Beton. Wenn deshalb wegen der Klimaproblematik nun auf Holcim gezeigt wird, hat dies nicht «symbolischen Charakter», sondern es ist genau das, was der Heks-Pressesprecher in Abrede zu stellen versucht: Die Firma wird zum Sündenbock gemacht.

 

Zum Umgang mit Sündenböcken gibt es übrigens eine evangelische Empfehlung: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Online-Kommunikation HEKS (Freitag, 02 September 2022 19:17)

    Wir haben Ihren Blog zum Klimaverfahren von vier Indonesier:innen gesehen und uns gefreut, dass Sie über dieses wichtige Projekt für mehr Klimagerechtigkeit geschrieben haben. Gerne gehen wir auf einige Ihrer Argumente ein:

    Dem Schlichtungsgesuch der vier Indonesier:innen liegen vielseitige wissenschaftliche Belege und Studien zugrunde, die sich mit den Ursachen und Folgen des Klimawandels sowie der Zurechenbarkeit einzelner Beiträge von Teilverursachern zur Erderwärmung befassen. Dazu gehören u.a. die Berichte des Weltklimarates (z.B. der 6. Sachstandbericht (https://www.ipcc.ch/report/sixth-assessment-report-cycle/)) oder auch die von ihnen zitierte Studie (https://callforclimatejustice.org/wp-content/uploads/Heede-Report.pdf) des Climate Accountability Instituts, welche sich mit der historischen Verantwortung von Holcim für die Erderwärmung befasst.

    Die vier Betroffenen machen u.a. eine Persönlichkeitsrechtsverletzung geltend, basierend auf Artikel 28ff. ZGB. Der Schadenersatz basiert auf Art. 41 OR und die Genugtuung auf Art. 49 OR. In diesem Sinne werden klassische Rechtsbehelfe des Schweizer Rechts angewendet.

    Eine ausführliche Begründung insbesondere auch in Bezug auf die Kausalität wird erst in einer allfälligen Klageschrift erfolgen. Zunächst hoffen wir natürlich, dass Holcim anlässlich der Schlichtungsverhandlung seinen grossen Klimaversprechen nachkommt und auf die Forderungen der vier Betroffenen eingehen wird.

    Sie zitieren in Ihrem Blog einen Artikel der Zeitschrift «reformiert» zur HEKS-Kampagne, welche das Klimaverfahren begleitet, und darin insbesondere ein Zitat von HEKS-Sprecher Lorenz Kummer und den von ihm verwendeten Begriff des «Symbolcharakters». Dieser Begriff ist in diesem Kontext tatsächlich missverständlich, auch weil die Erklärungen dazu im Artikel verkürzt wiedergegeben wurden. Es ist keinesfalls die Rede von einer «Symbolischen Klage», wie Sie das im Titel Ihres Blogs suggerieren, sondern davon, dass «man beim HEKS nicht einzelne Firmen zu Sündenböcken erklären wolle», und «Forderungen wie jene gegenüber Holcim Symbolcharakter hätten».

    Denn theoretisch könnten sich die Forderungen der direkt Geschädigten tatsächlich gegen sämtliche Verursacher der Klimakrise richten. In diesem Sinne steht das Verfahren gegen Holcim symbolisch für viel mehr: Nämlich einerseits für die über 700 Millionen Menschen, die auf Inseln und in tiefer gelegenen Küstengebieten leben und vom Anstieg des Meeresspiegels akut bedroht sind. Andererseits richtet es sich gegen eines der 100 Unternehmen, die global am meisten zur Klimakrise beigetragen haben. Im konkreten Fall wenden sich somit Menschen, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, und gleichzeitig am wenigsten dazu beigetragen haben, gegen einen der Hauptverursacher. Genau dies ist das Kernanliegen von Klimagerechtigkeit und der Kampagne «Call for Climate Justice» (https://callforclimatejustice.org/de/).

    Dass das Engagement von HEKS in diesem Bereich weit über die Begleitung dieses Klimaverfahrens hinausgeht, erfahren Sie nicht nur am Ende des Artikels, sondern auch auf unserer Website: Klimagerechtigkeit | HEKS (https://www.heks.ch/themen/klimagerechtigkeit). So unterstützt HEKS beispielsweise vom Klimawandel betroffene Menschen in Indonesien seit vielen Jahren.

    Schliesslich reiht sich das aktuelle Verfahren in eine breite internationale Bewegung ein, welche die Verursacher der Klimakrise rechtlich zur Verantwortung zieht. Wenn es Sie interessiert, wie in anderen Fällen argumentiert wurde, finden Sie hier einige Links zu Klageschriften:

    • Klage gegen Shell: http://climatecasechart.com/wp-content/uploads/sites/16/non-us-case-documents/2021/20210526_8918_judgment-1.pdf
    • Klage gegen RWE: https://germanwatch.org/sites/germanwatch.org/files/static/19019.pdf
    • Klage gegen VW: https://www.greenpeace.de/publikationen/vw_klage_final_small_0.pdf
    • Klage gegen BMW: https://www.duh.de/fileadmin/user_upload/download/Pressemitteilungen/Umweltpolitik/Klimaschutz/Klageschrift_BMW.pdf
    • Klage gegen Mercedes-Benz: https://www.duh.de/fileadmin/user_upload/download/Pressemitteilungen/Umweltpolitik/Klimaschutz/Klageschrift_Mercedes-Benz.pdf